Aussteiger auf Teneriffa – von Höhlencamps & frischen Gambas
Die kanarische Insel Teneriffa hat neben umwerfender Flora und Fauna, wunderschönen naturbelassenen Stränden, leckeren Tapas und einem entschleunigten Lebensgefühl, noch einiges mehr zu bieten! Im Süden der Insel leben bunte und zeitweise nackte Gestalten in vollends ausgestatteten Höhlen. Aussteiger aus der ganzen Welt schlafen hier auf ihren Matratzen, waschen sich unter ihren Solar-Duschen und leben sogar mit ihren Hunden in diesen schattigen Höhlen der Felsformationen der Insel. Aus Deutschland, Ungarn, Belgien, England, Polen. und natürlich Spanien selbst stranden Menschen hier im wahrsten Sinne des Wortes und haben bewusst einen Lebensstil ohne Geld und Postadresse gewählt. Und was mich natürlich besonders interessiert: Sie leben ohne Kühlschrank und Herd! Wie ernähren sich diese Menschen also?
An einer schwer zugänglichen Bucht im Süden Teneriffas, wo dementsprechend auch wenig Touristen zu fnden sind, darf ich beobachten wie Aussteiger kiloweise Hühnchen-Flügel und Steak auf dem offenen Feuer braten, zwischendurch vom Felsen in die Fluten springen und zufriedener nicht aussehen könnten. Ich bin neugierig geworden und freunde mich mit einer der wenigen Deutschen hier am Strand an.
Sunny mit den blonden Dreadlocks, der unfassbar braun gebrannten Haut und dem strahlenden Lächeln kam vor zehn Monaten aus Bayern nach Teneriffa, nachdem sie und ihr damaliger Freund bereits die Probe aufs Exempel statuiert hatten und auch mal in den Wäldern Bayerns lebten. „Ich arbeite nur noch für mich und nicht mehr für den Staat. Ich habe alles verkauft und hab mich aus Deutschland verabschiedet!“ Sunny war nicht mehr glücklich mit dem normalen 8-Stunden-Arbeitsalltag, dem Stress und den Zukunftsängsten. Sie wagte den Ausstieg. In Barcelona wurden ihr jedoch sämtliches Geld am Flughafen gestohlen. Traurig ist sie darüber nicht, lebt sie seitdem bewusst von Nahrungsmitteln aus Containern, fndet ihre Pfegeprodukte und Kleidung in Müllcontainern vor riesigen Apartment-Anlagen und hat hier am Strand von Teneriffa Freunde fürs Leben gefunden.
Die Sonne ist längst untergegangen, während wir am Strand um das Lagerfeuer herumsitzen, uns in Decken hüllen und Sunny erzählt, während sie uns einen Mitternachtssnack zubereitet:
„Hier sind die Menschen einfach viel glücklicher. Alles wird geteilt, alle passen aufeinander auf und wir sind wie eine Familie!“ Das Konzept ist logisch, wie simpel: Wie auch auf den übrigen kanarischen Inseln, verbringen Urlauber gern mehrere Monate oder die gesamte Winterzeit auf Teneriffa und bei ihrer Abreise landen vollkommen neue oder noch brauchbare Lebensmittel und Utensilien im Müll. Auch die Supermärkte werfen wie in Deutschland tonnenweise guter Lebensmittel täglich in ihre – mehr oder weniger leicht – zugänglichen Container. Mit einer Stirnlampe und leeren Taschen bewaffnet, geht Sunny mit ihrer Aussteiger-Familie des Nachts auf die Jagd. Die Ausbeuten sind so erträglich, dass sie das nicht einmal täglich erledigen müssen und das einzige Geld, was Sunny in den letzten zehn Monaten gebrauchte, waren die beiden 50€ Scheine, die sie ebenfalls im Container fand und etwas Geld, was sie mit Straßenmusik verdienen konnte.
Und was bereitet sie uns dort Leckeres auf dem offenen Feuer zu? Gambas im Wert von über 30€ und ein Känguru-Steak! Ich bin schon seit einer Woche auf der Insel und so gut habe ich nicht gegessen, wie in dieser Nacht – vor allem nicht so günstig. Die Lebensmittel sind allesamt gefroren und das Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht überschritten. Ich rieche nicht nur leckere Gambas, sondern auch Abenteuer und bin fast ein bisschen aufgeregt. Während ich mit fettigen Fingern meine Portion verzehre, sitzen alle nur da und grinsen sich schelmisch an, lachen und werden mit jedem Bissen ausgelassener. Das nenne ich pure Lebensfreude. In den Tüten neben uns befnden sich noch weitere Leckereien wie Spinat, allerlei Gemüse und Obst, Pommes, selbst Süßigkeiten und Shampoo konnte Sunny heute erbeuten. Ich bin fassungslos darüber, was wir Menschen wegwerfen und beginne über mein eigenes Konsumverhalten nachzudenken. Bewusster einzukaufen würde mir in Deutschland nämlich auch ganz gut tun – auch wenn das gerade fernab von Teneriffa scheint.
Kritiker würden nun fragen, was Sunny und ihre Freunde in den Höhlen und am Strand von Obdachlosen unterscheidet, ohne Krankenversicherung, festen Wohnsitz und ohne Zukunftspläne. Das kann ich nicht genau beantworten, aber ich muss zugeben, ich habe noch nie so ausgeglichene, freundliche und wohlgenährte Obdachlose gesehen.
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